Politisches auf dem Literaturfest München

16. Oktober 2018 | By | Add a Comment

Politik und Literatur bilden eine Schicksalsgemeinschaft. In brisanten Zeiten wird der Ruf nach Welthaltigkeit und klarer Positionierung laut. Äußert sich eine Schriftstellerin, ein Schriftsteller dezidiert politisch, wird gerne mal die Literarizität des Romans infrage gestellt. Kurzum: Es bleibt kompliziert.

Nicht so auf dem Literaturfest München. Jan Wagner kombiniert beim forum:autoren Poesie und Politik, beleuchtet die Vielschichtigkeit, aber auch die Zerbrechlichkeit Europas. Regelmäßig zu Gast sind zudem politisch engagierte Intellektuelle, die sich eindrucksvoll zu Wort melden. So ist eine Lesung mit dem frischgebackenen Geschwister-Scholl-Preisträger Götz Aly geplant, und Jan und Aleida Assmann sprechen als diesjähriges Gewinnerpaar des Friedenspreises des deutschen Buchhandels über ihre Weltsichten und ihr Werk.

Diktatur?

Liao Yiwu war bereits 2011 auf dem Literaturfest München: als Gewinner des Geschwister-Scholl-Preises. Im Jahr drauf erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – und diesmal ist er zu Gast bei Endstation China?. Am Dienstag, den 27. November präsentiert der 1958 in der Provinz Sichuan geborene, im Berliner Exil lebende Autor mit Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass die ebenso erschütternde wie poetische Beschreibung seiner Flucht. Flankiert wird Yiwu von dem SZ-Journalisten und China-Experten Kai Strittmatter, der in Die Neuerfindung der Diktatur die Mechanismen eines perfektionistischen Überwachungsstaats untersucht.

Demokratie?

Was in einer Demokratie möglich ist, verfolgten Strittmatters Kollegen Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz und Rainer Stadler über fünf Jahre lang akribisch in München: Mehr als 3000 Seiten umfasste die lückenlose NSU-Prozess-Mitschrift der SZ-Autor_innen. Für die Veröffentlichung haben sie ihr Material verarbeitet und verdichtet – auf 2000 Seiten. Beim Themenabend Der NSU-Prozess. Das Protokoll am Mittwoch, den 21. November lesen Marion Niederländer und Thorsten Krohn Auszüge aus der fünfbändigen Ausgabe: Originaltöne des Richters, der Zeug_innen, der Anwälte und Angeklagten. Dazu berichten Ramelsberger und Stadler von ihren Eindrücken bei dem historisch wohl einmaligen Strafprozess.

Ein Herz für Europa!

Auch Jan Wagner thematisiert aktuelle politische Entwicklungen. Exemplarisch dafür stehen die beiden Abende, die den Auftakt beziehungsweise Abschluss seines forum:autoren bilden. Bei Europa im Herzen am Donnerstag, den 15. November repräsentieren mit Aris Fioretos, Navid Kermani und Ilma Rakusa drei vielsprachige, herausragende Persönlichkeiten unseren multikulturellen Kontinent. „Es wird gelesen und über Europa gesprochen“, sagt Jan Wagner. „Hier soll Europa gefeiert werden – ohne die Probleme aus dem Blick zu verlieren.“ Als dunkles Gegenstück fungiert Im Herzen Europas am Freitag, den 23. November: Die beiden polnischen Lyriker Adam Zagajewski und Tadeusz Dąbrowski haben zwei literarisch-künstlerische, aber auch politisch völlig konträre Verhältnisse erlebt. Im Gespräch mit Michael Krüger soll es um ihre Ideen zu Europa ebenso gehen wie um die politisch heikle Situation in Polen und anderen osteuropäischen Ländern. Und ganz im Sinne des Mottos Schönes Babel. Europäische Lektüren kommt dabei auch keinesfalls die Literatur zu kurz!

(Text: Tina Rausch, Fotocredits: L. Yiwu ©Ali Ghandtschi_Druck; K. Strittmatter ©Anton Turovinin; A. Ramelsberger und R. Stadler ©Antje Kunstmann Verlag)

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