Ich lese, also fühle ich…

21. Oktober 2016 | By | 1 Comment

98 Prozent der Literatur ist blinden und sehbehinderten Menschen nicht zugänglich. Lediglich zwei Prozent gibt es in Brailleschrift oder als Hörbuch. Allein in dieser Hinsicht ist ein Literaturfest eine super Sache, denn Autorinnen und Autoren, die aus ihren Büchern lesen und über diese sprechen, ermöglichen auch Blinden und Sehbehinderten sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. „Blinde begegnen sich über die Stimme“, sagt die Schriftstellerin und Regisseurin Judith Kuckart. „Eine Lesung ist wie ein akustischer Blickkontakt mit dem Autor.“

Eine Brücke zwischen Blinden und Sehenden

Das forum:autoren geht in diesem Jahr noch einen Schritt weiter: Das Theaterprojekt Rot ist, wie ein Holzkästchen sich anfühlt möchte eine Brücke zwischen Blinden und Sehenden schaffen. Kuckarts Frage, wie Geburtsblinde Farben erfahren, beantwortete die Frau intuitiv mit ebenjenem Satz. Fürs forum:autoren interpretiert Kuckart Elke Schmitters Motto ein wort gibt das andere auf schönste Art und Weise, denn sie erarbeitete den Bühnentext mit drei blinden Frauen. Teils entstand er aus Gesprächssituationen, in denen Yesim Erdogan, Silja Korn und Heike Thiel von ihrer Not ebenso wie von ihrem Glück, blind zu sein, sprachen. Weiteres entstand aus Schreibaufgaben wie: Bring aus deinem Urlaub einen sensorischen Koffer mit akustischen und haptischen Erinnerungsstücken mit!

«Rot ist, wie ein Holzkästchen sich anfühlt» entstand aus Gesprächen mit Yesim Erdogan, Heike Thiel und Silja Korn (Foto: Privat)

«Rot ist, wie ein Holzkästchen sich anfühlt» entstand in Gesprächen mit Yesim Erdogan, Heike Thiel und Silja Korn (Foto: Privat)

Aktuell proben die Damen mit Regisseurin Judith Kuckart und Dramaturgin Sibille Hüholt an der Montage der Texte. Bei den beiden Aufführungen am ersten Wochenende des Literaturfests in den Münchner Kammerspielen ergänzt Brigitte Hobmeier das Ensemble. Sie beschreibt die Vorgänge auf der von Lili Anschütz eingerichteten Bühne und verleiht ihnen so eine weitere Ebene. Den Abschluss der zweiten Aufführung am Sonntag bildet ein Gespräch mit den Darstellerinnen. Es moderiert Max Dorner, der im Münchner Kulturreferat Künstlerinnen und Künstler mit Einschränkungen unterstützt und berät und sich um Projekte rund ums Thema Kunst und Inklusion kümmert. Ebenfalls auf dem Podium ist Jürgen Trinkus vom Verein Andersicht. Trinkus organisiert auch das oben genannte Bücherfestival in Boltenhagen, auf dem Judith Kuckart die Inspiration für ihr Theaterprojekt fand.

Und wenn keiner vorliest?

Kommen wir noch einmal zurück auf die außerhalb von Literaturfestivals für Blinde größtenteils nicht zugängliche Literatur: Ich kann’s nicht lesen!, heißt eine überaus geistreiche Initiative zu diesem Thema. Realisiert wurde sie vom Förderverein der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB). „Unsere Idee war, mit Humor und ohne Druck auf diese Tatsache aufmerksam zu machen“, erzählt  Ludwig Henne von den Freunden der DZB. „Deshalb haben wir das Szenario umgedreht: Wir haben Menschen aus dem Literaturbetrieb einen Text in Brailleschrift vorgelegt und sie gebeten, spontan darauf zu reagieren.“

«forum:autoren» in Brailleschrift

«forum:autoren» in Brailleschrift

„Wie irre das wäre, wenn es ein Text von mir wäre, und ich könnte ihn gar nicht erkennen“, sagt die Lyrikerin Nora Gomringer, als sie die Schrift vorsichtig ertastet. Dem Moderator Christoph Graebel vermittelt sich „nicht das Gefühl, als sei hier was draufgeschrieben“. Was dem Geschäftsführer des Deutschen Literaturinstituts Leipzig Claudius Nießen, dem Schriftsteller Julius Fischer, seinem Musikerkollegen Christian Meyer und anderen klugen Köpfen zur Brailleschrift einfällt, sehen und hören Sie hier:

Dieses Video möchte auch auf das Projekt Buchpatenschaften aufmerksam machen, mit der wir alle die Übertragung eines Buches oder eines Notenwerkes in Brailleschrift oder als Hörbuch fördern können. Mit der Bronzenen Patenschaft ist das schon ab 25 Euro möglich – und nach oben sind keine Grenzen gesetzt: Als Wahlpate dürft ihr sogar selbst bestimmen, welches Werk übertragen wird. Alle Infos zu den Patenschaften finden Sie hier.

(Tina Rausch, Literaturfest Redaktion)

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